Es mag seltsam anmuten, einen Nachruf für einen Menschen mit einer persönlichen Geschichte zu verknüpfen, den ich selbst niemals persönlich kennengelernt habe. Allerdings denke ich, dass meine Geschichte – vielleicht von der Intensität abgesehen – stellvertretend für viele andere steht, die von ihm beeinflusst wurden.
Anfang 2013 entdeckte ich auf Youtube ein Video mit dem Titel: „8 Regeln für den totalen Stillstand im Unternehmen“. Darin erklärte mir ein älterer, schnell sprechender Herr in kurzer und prägnanter Form, was man tun müsse, damit sich in einer Firma grundsätzlich gar nichts mehr bewegt. Diese „paradoxen Empfehlungen“ enthielten nicht nur jede Menge Humor, sondern unschätzbar wertvolle Einsichten für den halb-studierten Wirtschaftspsychologen, der ich zu der Zeit war. Erstaunlich viele Probleme, die ich in Organisationen mitbekam, ließen sich auf Phänomene zurückführen, die Peter Kruse in diesem Video ansprach. In der Folge klickte ich mich bei Youtube von einem seiner Videos zum nächsten, und wenn ich mit allem Material durch war, fing ich wieder von vorne an.
Peter Kruse verstand es wie kein anderer, wesentliche Erkenntnisse nicht nur zu erlangen und zugänglich zu machen, sondern auch in wenigen Worten auf den Punkt zu bringen. Dabei vermittelte er mir nicht nur die Erkenntnisse, die er hatte, sondern auch die Sicherheit, mit der er sie vertrat.
Wer ihm aufmerksam zuhörte, war in der Lage, viele Probleme vorauszusehen und zu umgehen, bevor sie entstanden.
Mochte es sich auf das Verhalten in Organisationen, das Bilden von Kreativität, auf den Umgang mit Netzwerken oder das Beschreiben und Erklären vieler Vorgänge in der Welt beziehen: das Wissen, was dieser humorvolle Professor in seinen Vorträgen und Interviews weitergab, war mir immer von unschätzbarem Wert. Es handelte sich um diese Art von Zusammenhangsdenken, welches für einen angehenden Wirtschaftspsychologen wie mich zwar unerlässlich ist, aber normalerweise niemals Eingang in akademische Lehrpläne findet.
Oftmals hatten ich und jene, an die ich voller Begeisterung die Links diesen Videos verteilte, das Gefühl, dass Peter Kruse vieles auf den Punkt brachte, was wir vage vorher im Gefühl haben mochten, aber vorher nie in Begriffe zu fassen vermochten.
Ein Mitarbeiter von Nextpractice erklärte mir auf meinen Wunsch, einmal eine Vorlesung von ihm zu besuchen: „Wenn Du Dich einfach mit ihm unterhältst, dann ist das schon Vorlesung.“
Und das ist eines der Merkmale, durch die ich mich mit dieser Person, die ich leider nie persönlich getroffen habe, so verbunden fühlte. So verbunden, dass mich sein Tod sehr viel mehr betrübt, als es bei den meisten Menschen der Fall ist.
Normalerweise bin ich in meinem Umfeld das, was Peter Kruse als „Welterklärer“ für mich war. Und genau wie er das einst von sich sagte, so komme auch ich nur sehr schwer aus meiner nachdenklichen, analytischen Rolle heraus.
Ebenso verbunden fühlte ich mich mit ihm durch das in unserer Gesellschaft eher unpopuläre Denken in übergreifenden Zusammenhängen, in Ganzheiten. Jemandem zuzuhören, der auf diesem Weg schon viel weiter vorangeschritten und dadurch erfolgreich ist, gab mir das Gefühl, mit meiner Art nicht allein und chancenlos zu sein, sondern zu einer Art von verschworenen „Gemeinschaft“ zu gehören, die die Welt immer tiefer ergründen will, als viele andere das tun und tun wollen.
Und ebenso wie Peter Kruse bin auch ich sehr besorgt über die zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen und Entwicklungen, die sich mehr und mehr zeigen.
Sein Vorhaben, dem entgegenzuwirken, ist etwas, was diese Welt bitter nötig gehabt hätte. Gerade er wäre jemand gewesen, der für dieses Vorhaben von unschätzbarem Wert gewesen wäre. Dabei geht es nicht nur um die Fähigkeit, aus einer sehr gesunden Distanz über den Dingen zu schweben und die Erkenntnisse aus dieser Perspektive in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Es wird auch der humorvolle Optimismus fehlen, den der „Welterklärer aus Youtube“ immer wieder verbreitete. Was in anderen Resignation über die Entwicklung der Gesellschaft auslöste, wurde von ihm mit einem interessierten, manchmal auch amüsierten Lächeln registriert.
Alles war ein interessanter Entwicklungsprozess für ihn, doch gleichsam wurden dessen Tücken und absehbare Schwierigkeiten sehr ernst genommen.
Eine besondere Qualität, die Kruse vor allem in Interviews immer wieder zeigte, war, dass er bei vielen Gesellschaftlichen Entwicklungen von „Wir“ sprach. Er benutzte dieses Wort oft in einem Kontext, der einer gesellschaftlichen Entwicklung, eine bewusste Intention aller Beteiligten zusprach. So unzutreffend diese Wortwahl auf die aktuellen Entwicklungen zu passen scheint, so treffend charakterisiert sie doch die tatsächlichen Vorgänge. Dass wir uns als Gesellschaft für bestimmte Entwicklungen entscheiden, ist uns oft nicht bewusst, aber nichts könnte zutreffender sein als das.
Auch hier zeigte Peter Kruse eine Denken, welches vielen unserer Zeit voraus ist: Er wollte, dass uns dieser Wertewandel in der Gesellschaft „nicht mehr einfach so passiert“, sondern, dass wir ihn aktiv und in vollem Bewusstsein gestalten. Diese Vision stellt einen wesentlichen Teil seines Vermächtnisses dar, der für uns alle noch von großer Bedeutung sein wird, wenn wir der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken wollen.
Wenngleich ich und auch viele Menschen meines Umfeldes sich den gleichen Zielen wie Peter Kruse verpflichtet fühlen, und so wird uns allen seine Persönlichkeit und sein unermüdlicher Optimismus fehlen. Ich wünschte, ich hätte noch viel mehr von diesem außergewöhnlich intelligenten Menschen lernen können, der es verstand, seine Erkenntnisse anschaulich, aber dennoch präzise zu verbreiten, und so, dass er wunde Punkte ansprechen konnte, ohne dabei anderen übermäßig auf den Schlips zu treten.
Was bleibt also von einem Menschen, der stets bescheiden so sehr an der Sache orientiert und im Dienste der Erkenntnis gearbeitet hat?
Es bleiben viele Stunden Videoaufnahmen mit unschätzbar wertvollen Erkenntnissen und jede Menge persönlicher Inspiration. Hierfür gebührt vor allem Ulrike Reinhard Dank und Anerkennung, die mit den von ihr initiierten und geführten Interviews einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, all die wertvollen Erkenntnisse zu dokumentieren, die nicht in einem Vortrag thematisiert oder niedergeschrieben wurden.
Außerdem bleibt eine Unternehmensberatung, die sowohl mit der wissenschaftlichen Arbeit als auch mit dem Geist ihres Mitbegründers auch jetzt noch einen wesentlichen Beitrag für die Verwirklichung von dessen Ziele leisten kann.
Für mich persönlich bleibt viel Orientierungswissen, Inspiration, Wohlwollen und Optimismus – sowie eine Reihe von Ermahnungen, mich für meine Ideale immer mehr ins Zeug zu legen.
Peter Kruse war mein Vorbild, und damit eines von zwei lebenden. Sein Weg wird mich weiterhin darin bestätigen, mich nicht nur mit Teilaspekten oder dem zweckgerichteten Aggregat von Wissen zufrieden zu geben, sondern die Dinge – vor allem die Systemtheorie – bis in ihre tiefen Grundlagen zu studieren; und dann die übergeordneten Muster in all diesen Dingen zu finden.
Und es bleibt viel Dank und Anerkennung für einen Menschen, der, ohne es zu wissen, mein Leben maßgeblich beeinflusst hat.